Gleichungen lösen im Kindergarten

Von verschiedener Seite wurde ich in den letzten Monaten auf die Mathe-Apps DragonBox Algebra 5+ und Dragon Box Algebra 12+ aufmerksam gemacht. Sie ermögliche spielerisches Lernen von Algebra bereits im Kindergarten-Alter und machen süchtig, wurde gemunkelt.

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DragonBox Algebra 5+ - The educational game that secretly teaches young kids the basics of algebra.

Heimlich beibringen! spielerisch lernen, ein altes Versprechen, derzeit verpackt in die Hypebegriffe serious games (Biblionetz:w02219) und game-based learning (Biblionetz:w01978).

Eine gute Ausgangslage für eine familiäres n=1-Experiment, zu dem der sechsjährige Caspar sofort bereit war ("Willst Du ein neues Spiel-App ausprobieren?").

(Die beiden Spiele sind mit CHF 6.- und CHF 10.- vergleichsweise teuer, aber a) was tut man nicht alles für den eigenen Nachwuchs, vorallem wenn man die Ausgaben zumindest theoretisch b) auch als Berufsauslagen deklarieren kann wink )

Wie funktioniert das Spiel? Die Spielfläche ist in zwei Hälften geteilt, in der einen Hälfte befindet sich eine Kiste, neben anderem Gerümpel. Ziel des Spiels ist es jeweils, die Kiste alleine in einer Spielhälfte zu haben und alle anderen Elemente irgendwie in die andere Hälfte des Spielfelds zu bugsieren. Dies kann mittels verschiedener Techniken, die im Laufe des Spiels eingeführt werden, bewerkstelligt werden. So können grüne Wirbel durch Antippen zum Verschwinden gebracht werden, Elemente durch Gegenelemente eliminiert werden (wobei jedes Gegenelement auch auf anderen Spielfeldseite platziert werden muss) etc.

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Unverständlich? Ja, für die meisten Erwachsenen klingt dies als erstes unverständlich. Die erste Beobachtung: Für Kinder überhaupt nicht. Die sind es sich gewöhnt, krude Spielregeln zu akzeptieren und entsprechend zu handeln. Egal wie die Regeln sind, ob sie Sinn ergeben oder nicht, so lange sie konsistent sind werden sie akzeptiert und flink angewandt.

Mit dem Spielverlauf werden aus den bunten Icons langsam Würfel mit den Zahlen 1-6 und in höheren Spiellevels Buchstaben. Langsam begreifen auch Erwachsene, was da eigentlich gespielt wird. Und plötzich sieht man das eigene Kindergartenkind voller Freude lineare Gleichungen vereinfachen und nach x auflösen. Vom mathematischen Hintergrund hat das Kind zwar keine Ahnung, aber das Spiel fasziniert. Innert kurzer Zeit ist das gesamte Spiel durchgespielt, ein neuer Avatar wird angelegt um das Spiel nochmals spielen zu können.

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Als professionell Deformierter (aka Mediendidaktiker) reibt man sich die Augen. Zwar nicht komplett verwundert - schliesslich kennt man diese Phänome seit Jahren aus der Lektüre entsprechender Theorie - aber nun passiert das auf dem eigenen Familiensofa. Da löst ein Dreikäsehoch lineare Gleichung - noch dazu mit Spass - aber ohne dass er weiss, was da mathematisch geschieht. Da stellen sich dem professionell Deformierten doch einige Fragen, die er nächste Woche in seinem beruflichen Umfeld diskutieren will:

  • Ist das Lösen von linearen Gleichungen ein Spiel?
  • Muss man begriffen haben, was mathematisch geschieht, wenn man Gleichungen umformt
    • a) um derzeit in der Schule gute Noten zu machen?
    • b) um die Mathematik zu begreifen?
  • Wie wird sich Unterricht verändern, wenn die Kids dem verdutzten Mathelehrer in der 7./8. Klasse sagen "Ach, sowas habe ich doch schon im Kindergarten als App gespielt..."
  • Die allgemeine Frage bei Game Based Learning: Gehört zum Lernen auch die Erfahrung, dass Lernen nicht immer ein Spiel, sondern manchmal auch anstrengend ist?
Zugegeben, bei diesem Spiel lernt man nicht alle Schritte, diezum Umformen von linearen Gleichungen notwendig sind. Das Spiel übrnimmt es jeweils, einen daran zu erinnern, dass alle Schritte auf beiden Seiten des Spielfelds (sprich dem Gleichheitszeichen) vorzunehmen sind und wie dies zu geschehen hat. Aber erstaunlich ist doch, wie weit man kommt.

Erste ernsthaftere Recherchen haben ergeben, dass die beiden Programme in norwegischen Schulen eingesetzt werden und dass (verständlicherweise) erst wenig wissenschaftliche Literatur dazu verfügbar ist (z.B. Biblionetz:t15930). Aber offiziell fange ich ja erst morgen mit Arbeiten an…

Ich bin versucht, das n=1-Experiment mit dem Spiel Dragon Box Algebra 12+ fortzuführen. Caspar wäre sofort dabei.


Birgit Lachner hat auf Google+ kommentiert und unter anderem darauf hingewiesen, dass DragonBox 12+ die Levels der DragonBox 5+ enthält (warum sagt einem das niemand vor dem Kauf?).

-- BeatDoebeli - 05 Jan 2014

Persönliche Beobachtungen und Gedanken zu Dragon Box 12+, nach 4-stündigem Spiel:
  1. Dragon Box 12+ ist ein echt cooles Spiel, das mit viel Liebe zum Detail gestaltet ist.
  2. Das Interessant ist, dass mein Mind stockt, sobald +,*,= Symbole erscheinen, obwohl die Spielaufgabe noch die Selbe ist wie zuvor. Es gibt dabei so ein Gefühl von "Panik". Diese Symbole sind bei mir mit einem negativen Gefühl von Stress konditioniert und es gibt eine innere Fluchtbewegung des Geistes. So interessant. Solche Beobachtungen sind der Grund, weshalb ich denke, dass Schule wie sie heute funktioniert, für viele Schüler nicht funktioniert. (PS: ich war gut in Mathe).
  3. Mein zweiter Gedanke war, dass es keinen Grund mehr gibt, weshalb sich noch irgendjemand die Regeln von Linalg aneignen soll, wenn es jedes Smartphone einfacher und schneller erledigen kann. Unserer Gesellschaft wird wohl nur noch eine kleine Anzahl Menschen benötigen, die genau dieses Art der Zeichenmanipulation selbst beherrschen. Computer sind um Faktoren effizienter für diese Aufgabe, so wird es in Zukunft nicht mehr im Brain berechnet. Ist Dragon Box "nur noch" ein Bedienen eines nicht mehr zeitgemässen Lehrplans? Resp. ist Linalg "nur noch" ein Spiel - eine zwecklose Beschäftigung, die unglaublich Spass macht?
-- MarcPilloud - 14 Feb 2014
 
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