Liebe Schülerinnen und Schüler!
Letzte Woche haben wir einen kontroversen Film über die Datierung Troias geschaut. Anbei einige ergänzende Texte aus der Presse. Der im Film auftretende Historiker Illig spielt in den beiden Artikeln jedoch keine Rolle...
Worum geht es? Am Beginn stand die erfolgreiche Troia-Ausstellung in Stuttgart, Braunschweig und zur Zeit in Bonn, für die der Tübinger Prähistoriker Manfred Korfmann verantwortlich zeichnet – es folgten heftige Attacken des Althistorikers Frank Kolb (ebenfalls Tübingen) in einer Reihe öffentlicher Medien, der Korfmanns Aussagen so in Bausch und Bogen verurteilte, daß ihm der Vorwurf der persönlichen Diffamierung gemacht wurde – zu guter letzt intervenierte der Rektors, dessen Universität beide Protagonisten angehören. Die sachlichen Vorwürfe Frank Kolbs, um die das Symposion im wesentlichen kreiste, betreffen die Interpretation der Korfmannschen Grabungsergebnisse und lauten in Kurzform: 1. Die Bedeutung Troias als Stadt um 1300 v. Chr. wird grotesk überschätzt 2. Die Bedeutung Troias für den Handel ist nicht gegeben 3. Die Bedeutung Homers für Troia wird völlig überbewertet 4. Korfmann arbeitet mit Hypothesen, die durch nichts belegt sind. Diese vier Punkte mußte das Symposium abarbeiten. Dabei kam es zu teilweise spannenden Ergebnissen, an anderen Punkten wurde erfreulich deutlich, wo noch Klärungsbedarf besteht. Archäologen, Althistoriker, Altphilologen, Hethitologen – 13 Diskutanten aus ganz unterschiedlichen Fachgebieten versuchten zwei Tage lang Annäherungen an Troia, aber auch an ihre Nachbardisziplinen. Das gelang zu großen Teilen, und damit ist dem Symposion ein Erfolg zu bescheinigen. Es gab Anregungen, Richtigstellungen, neue Forschungsaufgaben sind thematisiert worden.
Zuhören ist eine Kunst Ob im inner-familiären oder im inner-wissenschaftlichen Streit: Der Gegenseite zuzuhören und auf ihre Argumente einzugehen, ist deutlich mühsamer, als mehr oder weniger stereotyp den eigenen Standpunkt zu wiederholen. Noch unbequemer ist es natürlich, sich der Anstrengung zu unterziehen, den eigenen Standpunkt zu überprüfen und gegebenenfalls sogar zu modifizieren. Um so erfreulicher, daß es beim Tübinger Kolloquium in einigen Punkten und bei einigen Teilnehmern durchaus Ansätze gab, von denen aus neue Forschungen angestoßen werden könnten. Erfreulich auch, daß sich wenigstens einer der Hauptkontrahenten (Manfred Korfmann) so flexibel zeigte, im Lichte der in der zweitägigen Diskussion vorgebrachten neuen Aspekte und Anregungen die bisherigen Interpretationen überprüfen und, wo erforderlich, modifizieren zu wollen. Dies ist eigentlich ein normaler Vorgang, angesichts der extrem verhärteten Fronten bedarf es aber wohl der besonderen Hervorhebung.
Stilfragen Wissenschaftlicher Streit ist eine sinnvolle Angelegenheit, die in Deutschland zu wenig gepflegt wird. Hinterfragen, prüfen, auch in Frage stellen und, wenn etwas für grundlegend falsch gehalten wird, auch die scharfe Attacke: Das ist das gute Recht eines jeden Wissenschaftlers. Daß er beim Angriff denselben Regeln unterliegt wie der Angegriffene, versteht sich dabei von selbst. Unverständlich aber ist ein Disput, der persönlich wird; nicht zu tolerieren ist ein Angriff, der nicht den wissenschaftlichen Ansatz oder das inhaltliche Ergebnis meint, sondern den Menschen, der dahinter steht. Im konkreten Fall war Frank Kolb der Angreifer; er hielt Korfmanns Aussagen für unzutreffend. In Tübingen standen daher die Aussagen Korfmanns wie die Gegenargumente Kolbs auf dem Prüfstand; auf persönlich verletzende Bemerkungen sollte, so die eindringliche Mahnung des Rektors, verzichtet werden. Aber schon in seinen ersten Bemerkungen warf Frank Kolb seinem Kollegen "andere als wissenschaftliche Beweggründe" vor, ohne allerdings zu erläutern, was er damit meinte. Ein guter Geist, wer immer es war, hielt ihn dann glücklicherweise davon ab, diese Unterstellung zu wiederholen. Und die anderen Teilnehmer begnügten sich, wenn überhaupt, mit kleineren Sticheleien knapp oberhalb der Gürtellinie – bis auf den Tübinger Hethitologen Frank Starke, der es offenbar für angemessen hielt, seinen Münchner Kollegen Hertel unschön vorzuführen. Nur wenige allerdings pflegten den angenehmen Stil der anwesenden englischen und amerikanischen Wissenschaftler, die ihren Kontrahenten zunächst hohes wissenschaftliches Niveau bescheinigten, bevor sie ihre abweichende Meinung darlegten. Darunter der Basler Altphilologe Joachim Latacz und der Direktor des Deutschen Archäologischen Instituts in Athen, Wolfdietrich Niemeier. Wohltuend auch der versöhnliche Stil Korfmanns, der zweimal sagte: "Das Verständnis für den anderen ist manchmal schwer, das Nichtwissen groß. Das gilt für alle."
Gibt es Korfmannianer? Lagerdenken erleichert den Beteiligten die Übersicht und Journalisten und Öffentlichkeit die Parteinahme, ist der Sache aber wenig dienlich. Zu recht wehrt sich Manfred Korfmann dagegen, daß die gesamten Wissenschaftler, die an den Troia-Grabungen und den Troia-Auswertungen beteiligt sind, als "Korfmanianer" bezeichnet (und damit letztlich ihrer autonomen Urteilsfähigkeit beraubt) werden. Noch schlimmer aber scheint, daß Lagerdenken Differenzierungen den Garaus macht. Wenn sich die Wissenschaft George W. Bushs Standpunkt zu eigen macht – "wer nicht für uns ist, ist gegen uns" –, so sind die Leidtragenden diejenigen, die – aus ihrem jeweiligen Fachgebiet kommend – Modifikationen einführen wollen, auf Möglichkeiten und Nachdenkeswertes hinweisen, ohne aber in Bausch und Bogen verdammen zu wollen. Dem wissenschaftlichen Diskurs kann Lagermentalität nur schaden.
Interdisziplinarität Die Wissenschaft wird heutzutage angehalten, interdisziplinär zu arbeiten, und tatsächlich scheint es die produktivsten Ergebnisse dort zu geben, wo unterschiedliche Methoden kombiniert werden und ein Problem aus unterschiedlichen Richtungen angegangen werden kann. Daß dies zu Reibungen führt, da man die andere Seite erst kennen- und verstehen lernen muß, ist selbstverständlich. Kooperation setzt Respekt vor den Fähigkeiten des anderen voraus und das vorurteilsfreie Eingehen auf dessen Ergebnisse. Im konkreten Fall: Der Eindruck trügt wohl nicht, daß Archäologen manches Mal dann, wenn es um historische Phänomene geht, "großzügiger" sind als Historiker, die heute gewöhnt sind, möglichst klar zu benennen, wovon sie sprechen. Sie definieren, was sie meinen, wenn sie "Stadt" sagen, von dem "gemeinen Mann" sprechen usw. Archäologen sind da, wie gesagt, großzügiger (wie umgekehrt Historiker großzügiger sind, wenn sie in Nachbardisziplinen wildern; pedantisch ist man immer nur in bezug auf das eigene Fach). Zweifelsohne muß man sich bei Kooperationen auf eine gemeinsame Sprache verständigen. Die Archäologen werden lernen müssen, mit den in Teilbereichen strengeren Kriterien der Historiker umzugehen, die Historiker dagegen werden akzeptieren müssen, daß die Bedingungen der Archäologie ein ihnen zunächst fremdes Herangehen voraussetzen. Immer aber wird zu gelten haben, daß Dazulernen und Kompromisse keine Einbahnstraße sein dürfen. Weder sind Archäologen im Besitz der Wahrheit (wie Hans-Peter Uerpmann meinte), noch haben die Historiker die Methodenhoheit, wie es bei einigen Rednern anklang.
***Der Streit um Troia / ad 1: War es eine Stadt?
Manfred Korfmann verteidigte seine bisherigen Äußerungen: Troia sei eine Residenzstadt gewesen. Er betonte aber mehrfach, daß er als Prähistoriker spreche: Troia dürfe nicht im Kontext der großen mesopotamischen oder syrischen Städte mit ihren prächtigen Palastbauten beurteilt werden, sondern es sei im anatolischen Kontext zu verorten bzw. als am Rande Europas gelegen. Als Stadt bezeichne er Troia, seit man eine von einem Graben begrenzte Unterstadt gefunden habe, die auf etwa 2000 v. Chr. zu datieren sei. Um wie viele Häuser es sich genau handele, wisse man nicht; aufgrund des heutigen Wissensstands gehe er davon aus, daß dort zwischen 5000 und 10.000 Menschen lebten (andere Archäologen und Prähistoriker vermuteten im Verlauf der Tagung, man solle besser von etwa 3000 ausgehen; Kolb meinte, es seien deutlich unter 1000 gewesen). Weiterführen könnte der Ansatz des Berliner Prähistorikers Bernhard Hänsel, der folgende früh- oder proto-urbane Besiedlungskriterien vorschlug (wobei er betonte, bei der Frage, was ist eine Stadt aus der Sicht des Prähistorikers sei, dürfe man keine archäologiefernen Kriterien verwenden): 1) Größe und Dichte der Besiedlung 2) Erkennbare Unterschiede zwischen Land und Stadt, etwa eine andere Siedlungsstruktur 3) Sicherung und Zusammenhalt nach innen und nach außen, etwa durch eine Befestigung oder eine bestimmte Straßenführung 4) Soziale Gliederung bzw. Gliederung in handwerkliche Berufe und Tätigkeiten 5) Fernbeziehungen als Indiz für Handelstätigkeit. Aus südosteuropäischer Perspektive konnte Hänsel Troia dann als prominentes Glied in der Gemeinschaft der Küstensiedlungen einordnen. Eine interessante Variante brachte der Londoner Hethitologe David Hawkins in die Diskussion ein. Er projizierte die Grundrisse von Troia und Hattusa im exakt gleichem Maßstab nebeneinander an die Wand (schließlich bestreitet niemand, daß Hattusa eine Stadt war) – und siehe da: im direkten Vergleich schneidet Troia gar nicht schlecht ab. Die Grundpositionen blieben unverändert: Für Korfmann war Troia eine Residenzstadt mit Burg und Unterstadt, wenn auch sicherlich keine Metropole, denn dafür habe es zu sehr am Rand der orientalischen Welt gelegen, habe dort aber als relativ wichtiger Platz seine Funktion gehabt; der vorderasiatische Archäologe Harald Hauptmann (Heidelberg) hält Troia für ein regionales Zentrum, einen Fürstensitz, von dem aus eine Elite das umgebende Land kontrolliert habe; Kolb hält es für eine unbedeutende Anlage ohne Hafen.
Hatte Troia eine Unterstadt? Gab es in Troia eine Unterstadt oder handelte es sich hierbei um ein großes, weitgehend als Gärten oder anderweitig agrarisch genutztes Gebiet mit vereinzelten Häusern und Holzschuppen? So jedenfalls die wiederholte Behauptung Kolbs. Die vorort grabenden Archäologen widersprachen entschieden. Der Tübinger Peter Jablonka entwickelte in einem anschaulichen und präzisen Vortrag, daß es sich bei Troia um ein dynamisches System gehandelt habe: Mauern wurden nach Bedarf weiter verwendet (der klassische Archäologe Brian Rose von der University of Cincinatti ergänzte: Die Römer etwa seien hervoragende Re-Cyler gewesen und hätten Steine für ihre Gebäude hemmungslos aus früheren Mauerresten herausgebrochen). Jablonka geht von einem Funktionswandel des Randgebiets von Troia VI zu Troia VII A aus – die Bebauung sei dichter und regelmäßiger geworden, weshalb er die Bezeichnung "Unterstadt" für richtig hält. Leicht ironisch ergänzte er – auf den Vorwurf anspielend, man habe bislang nur ein Hausfundament ganz ausgegraben –, man behalte sich vor davon auszugehen, daß dort, wo man eine Mauer und eine Ecke finde, auch ein Haus stand. Ein Vorwurf Kolbs jedenfalls wird sich – auch wenn dieser ihn wiederholt e– kaum halten lassen: daß die Grabungsdokumentationen gesicherte Ausgrabungen von Vermutungen nicht unterschieden; die Vorlage der entsprechenden Ansichten aus den Studia Troica ließ da keinen Zweifel zu.
Gab es eine Befestigungsmauer und welche Rolle spielte der entdeckte Graben? Eine große Rolle spielten in der Diskussion die Fragen, a) ob der vor der Unterstadt gefundenen Graben Teil eines Befestigungssystems war und (b) ob es eine Befestigungsmauer gab. a) wird von Kolb, der darin einen Steinbruch oder einen Entwässerungsgraben vermutet, bestritten, ebenso (b). Auch Dieter Hertel (München) formulierte, angesichts der nur spärlichen und verstreuten Häuser und dem völligen Fehlen einer die Untersiedlung umgbenden Festungsmauer sowie eines Festungsgrabens sei Troia am besten als Burgsiedlung zu bezeichnen. Demgegenüber betonte Korfmann, man habe Überreste einer Befestigungsmauer genau dort gefunden, wo es plausibel sei angesichts der späteren jahrhundertelangen weiteren Bebauung: unter dem Odeion etwa und anderen Großbauten, die sie überdeckelten und so schützten. Peter Jablonka ergänzte, geomagnetische Prospektion habe ergeben, daß ein bronzezeitlicher Graben von dem hellenistisch-römischen Straßensystem überlagert worden sei Der ca. 4 Meter breite Graben sei später aufgefüllt worden. Im Süden sei er unterbrochen und man habe ein Tor gefunden sowie Löcher, die auf eine hölzerne Torkonstruktion schließen ließen (was Frank Kolb in der Diskussion bezweifelte, Prähistoriker dagegen für plausibel hielten). 700 Meter des inneren Grabens seien bislang nachgewiesen. Der Bio-Archäologe Hans-Peter Uerpmann (Tübingen) hielt der Kolbschen Interpretation entgegen, Kolb berücksichtige nicht, daß der Graben an einigen Stellen unterbrochen sei. Zudem sei die Investition für die Aushebung eines derartigen Grabens nur zur Entwässerung einfach zu hoch, denn immerhin habe man ca. 100 Mann-Jahre Arbeit dafür benötigt. Auch ein Bautechniker aus Karlsruhe reihte sich ein in Phalanx der Befestigungsmauer-Vertreter und begründete dies nicht nur mit der technisch erfolgreichen Mauertechnik in der Oberstadt von Troia, sondern auch mit dem Hinweis darauf, daß die Tore dort offen waren – dies könne man sich nur erlauben, wenn eine zweite Mauer davor lag. Zur Bautechnik merkte er an, daß die Mauern einen harten Kern besaßen und eine Lehmziegelmauer darum herum gebaut worden sei. Im Verlauf der Tagung wurde immer wieder deutlich, wie groß die Erosion in Troia ist und wie stark dieser Umstand die Findigkeit der Archäologen herausfordert.
Der Streit um Troia / ad 2: War es eine Handelsstadt?
War Troia in einen Fernhandel eingebunden? Wie immer wieder im Verlauf der Tagung gab es auch hier eine Vielzahl in Nuancen oder grundlegend von einander abweichenden Standpunkten. Dieter Hertel (München) etwa schloß daraus, daß die Masse der von SchlieMann gefundenen Scherben lokal gefertigt worden sei, daß die Kontakte zur mykenischen Welt sehr lose waren. Der Direktor des Deutschen Archäologischen Instituts von Athen und Ausgräber von Milet, Wolfdietrich Niemeier, argumentierte dagegen: Wenn tatsächlich mykenische Keramik lokal imitiert worden sei, lasse dies darauf schließen, daß die Kontakte so eng waren, daß man sie als Vorbild anerkannt habe – die Interpretation müsse also gerade andersherum laufen. Auch für Bernhard Hänsel (Berlin) war Imitation ein Indiz dafür, daß die mykenische Keramik normativen Charakter besessen habe. Und auf die wiederholte Einlassung Kolbs, man habe in Troia kaum Keramik gefunden, Scherben würden aber nicht gestohlen und könnten sich ja nicht in Luft auflösen, konterten die Archäologen, bedauerlicherweise täten sie eben letzteres – sonst nämlich hätte man auch in Mesopotamien oder Syrien mit seinen im Vergleich zu Troia häufig viel besseren Bedingungen ungeheuere Mengen an Scherben finden müssen, was aber nicht der Fall sei. Ähnlich kontrovers ging es zu bei der Frage nach dem Metallhandel. Während die Historiker argumentierten, es gebe dafür keine Belege, verwiesen die Prähistoriker und Archäologen darauf, daß Troia ganz offensichtlich eingebunden war in einen etablierten Metallhandel, in ein Vertriebssystem, das weite Räume überspannte. Naturwissenschaftliche Untersuchungen hätten ergeben, daß die gefundenen Metallobjekte nicht aus Troia stammten, sondern eine große Variationsbreite aufwiesen. Zudem mußte Zinn regelmäßig zugeführt werden, damit die Waffen und Rüstungen gefertigt werden konnte. Andrew Sherratt (Oxford) vertrat daher die Ansicht, Kolb unterschätze die Bedeutung des Rohmaterialhandels. Generell vertrat Kolb die Ansicht, in der Antike sei Fernhandel nur für wenige Städte ein prägendes Element gewesen; noch weniger gelte dies für die späte Bronzezeit. In Anatolien und im Ägäisraum gebe es keinen einzigen Ort, der die Kriterien für eine Handelsstadt erfülle. Korfmann hielt dagegen daran fest, daß Troia zwar im 2. Jahrtausend keine Drehscheibe des frühen Handels gewesen sei – das habe er auch nie behauptet –, wohl aber in ein Handelsnetz eingebunden war, das in die Ägais wie ins Schwarzmeergebiet und in den Kaukasus reichte. Während Kolb meinte: "In Troia kam kaum einer vorbei.", wiesen Prähistoriker darauf hin, daß es in der Bronzezeit zwingend einen beträchtlichen Rohstoffaustausch gegeben haben müsse. Und gegen Kolbs Argument, in der Zeit von Troia VI habe es im Schwarzmeergebiet noch kaum Schiffsverkehr gegeben, konterte ein nautischer Archäologe, dieser Raum sei mitnichten so verkehrslos, wie dies Historikern erscheinen möge.Der Streit um Troia / ad 3: Hilft uns Homer bei Troia weiter?
Korfmann nannte die Frage nach Troia und Homer die "Gretchenfrage", und tatsächlich ist die emotionsgeladene Atmosphäre, in der sich insbesondere die breitere Öffentlichkeit dem Thema "Troia" nähert, zu einem großen Teil auf diese Verbindung zurückzuführen. Ilias und Odysee: Haben sie einen historischen Hintergrund bzw. greifen sie zurück bis in die Zeit Mykenes. Joachim Latacz bejaht dies und begründet seine Position u.a. mit der Verwendung alter Namen sowie mit der Festigkeit des Hexameters; die (mündliche) Sängertradition reiche sehr weit zurück. Niemeier unterstützte ihn, indem er darauf hinwies, daß nicht nur die Namen, sondern auch die Waffen aus mykenischer Zeit datieren. Über die Größe der Splitter aus mykenischer Zeit, die sich in Homers Epen finden, vertraten die Altphilologen unterschiedliche Positionen. Uneingeschränkt aber meinten alle: die Geschichte der Epen ist definitiv in der Zeit Homers zu verorten, also im 8. oder 7. Jahrhundert (auch da ist man sich nicht ganz einig). Insgesamt war dies aber ein Nebenschauplatz, denn die Troia-Forschungen Korfmanns tangiert die Frage nicht. In Korfmanns Augen widerspricht das neue arachäologische Troia-Bild zwar nicht einer gewissen Historizität der Ilias, er konnte aber gelassen feststellen: "Wenn wir etwas beitragen können, ist es gut; wenn nicht, ist es auch gut."
Methodenstreit
Korfmann wies darauf hin, daß er als Prähistoriker nicht über schriftliche Quellen verfüge, was eine andere Herangehensweise bedinge. In der Tat ist die fehlende Schriftlichkeit ein Problem, vor dem Archäologen häufig, in der Region um Troia im 2. Jahrtausend immer stehen. Es ist nicht zu unterschätzen. Joachim Latacz brachte es sehr anschaulich auf den Punkt: Man hat als Fixum nur einzelne Punkte, und diese muß man durch Geschichten verbinden – interpretieren also; tut man es nicht, dann bleiben die "dummen Punkte" auch weiter dumm und nichtssagend. Interessanterweise argumentierten die Archäologen wie die Prähistoriker gern mit geographischen Plausibilitäten: Wie weht der Wind? Wo legt ein Tal Verbindungen nahe? usw., während die Historiker auf umfangreicheren – zumindest materiellen – Belegen beharrten. Wo der eine Prähistoriker Ankerfunde nicht lokaler Bauart als Beleg für Schiffsverkehr im Schwarzen Meer deutete und mutmaßte, daß Rohstoffe bereits in der Bronzezeit per Schiff über das Schwarze Meer transportiert worden seien, vermißte der Historiker Hinweise auf einen geregelten Verkehr). Peter Jablonka jedenfalls ordnete Troia überzeugend in einen weiteren Kontext ein. Troia habe nicht in "spendid isolation" existiert – das hätte schon die geographische Lage des Orts nicht zugelassen. Der auf Südosteuropa spezialisierte Archäologe Bernhard Hänsel plädierte dafür, Troia stärker auch vom nördlichen Ägaisraum her zu beleuchten: Möglicherweise sei es bisher zu einseitig in einen vorderasiatischen Kontext eingebunden und damit zu isoliert gesehen worden. Der Blick auf die spätbronzezeitliche Situation in der nördlichen Ägäis und ihrem nördlichen Hinterland zeige, daß Troia dort gut eingebunden war.
Wilusa = (W)Iliso, Taruisa = Troia? Neuere Forschungen der Hethitologen haben zu Tage gebracht, daß eine Stadt namens Wilusa dem Hethiterreich gut bekannt war. Wo aber lag diese Stadt? Während die Altanatolistin Susanne Heinhold-Krahmer (Salzburg) meinte, man wisse es (noch) nicht – so wie man von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen auch von der allergrößten Zahl der bronzezeitlichen Städte nicht mit 100prozentiger Sicherheit sagen könnte, wo sie lagen –, war sich der Hethitologe Frank Starke (Tübingen) seiner Sache sicher: Troia ist Wilusa. Unabhängig davon kam der britische Hethitologe David Hawkins anhand anderen Materials zu demselben Ergebnis. Die meisten anwesenden Sprachwissenschaftler waren sich immerhin soweit einig, daß es für die Gleichsetzung von Wilusa mit Ilion eine starke Indizienkette gebe, diese aber noch nicht stringent nachgewiesen sei. Ohnehin allerdings gelte, wie David Hawkins formulierte: "We deal only in probalities."
***Ein Fazit Eine Reihe von Sprechern beschworen eindringlich, das eindrucksvolle Lebenswerk Manfred Korfmanns nicht zu zerreden. Es sei beachtlich, was dieser dort im Verbund mit zahlreichen Wissenschaftlern aus dem In- und Ausland geleistet habe und man müsse dies, bei aller Notwendigkeit von Kritik, anerkennen – eine Einschätzung, der man folgen sollte. Die Debatte, und dies ist ein erfreuliches Ergebnis, verlief mitnichten in so eindeutigen Frontlinien, wie es der Begriff "Korfmanianer" hätte vermuten lassen, und "Kolbianer" waren rare Exemplare. Sie krankte jedoch immer wieder daran, daß nur durch intensive Argumentation am spezifischen Detail zu klärende Probleme und methodische Grundsatzfragen vermischt wurden. Für die weitere Diskussion, die es hoffentlich geben wird – wenn auch sicher nicht zwischen den Hauptkontrahenten – sollte hier stärker getrennt werden. Einen wenig erfreulichen Abschluß fand die Veranstaltung dann durch das – zu recht durch das Auditorium mit Pfiffen und Buh-Rufen geahndete – Endstatement Frank Kolbs. Erneut ging er zum Globalangriff über: Troia sei weder Stadt noch Handelsstadt gewesen, sondern eine unbedeutende Anlage; es gebe keine Verbindung zum Mythos; die Gleichsetzung Wilusa/Ilion lasse sich nicht beweisen; Korfmann verwende unwissenschaftliche Methoden und stelle Behauptungen auf ohne Befunde, die Aufgabe von Wissenschaft aber sei nicht, populäre Wünsche nach Glanz zu erfüllen und Blendwerk zu betreiben; Korfmann vermische Politik und Wissenschaft; zu guter letzt, wenn man Korfmann gewähren lasse, gebe es in den Geisteswissenschaften überhaupt keinen methodischen Halt mehr. So bleibt ein schaler Geschmack, den die ansonsten produktive Tagung nicht verdient hat. Schade.
Quelle: Dr. Marlene P. Hiller
Troia-Streit: »Wir leben in zwei Welten«
Wichtige Handelsstadt oder unbedeutender Fürstensitz: Korfmann und Kolb beharren auf ihren Standpunkten Von Joachim Kreibich
Tübingen. (GEA) Der Streit wird mit Worten ausgetragen, nicht mit Waffen. Doch die beiden Helden und ihre Anhänger stehen sich weiter unversöhnlich gegenüber. Bei der Troia-Tagung der Uni Tübingen rückten der Historiker Frank Kolb und der Archäologe Manfred Korfmann nicht von ihren Standpunkten ab. Kolb sieht den Ort zur späten Bronzezeit als »unbedeutendes Kleinfürstentum.« Korfmann spricht von einer bedeutenden Stadt mit weit reichenden Handelsbeziehungen.
Kolbs Vortrag war am Samstag mit Spannung erwartet worden, der Hörsaal erwies sich erneut als zu klein, um die Scharen von Wissenschaftlern, Journalisten und neugierigen Zuhörern aufzunehmen. Für den 56-Jährigen steht fest: Im Vergleich mit den damaligen vorder-asiatischen Residenzstädten hat Troia nicht viel zu bieten. Keinen Palast, keine Tempel, keine Archive, keine dicht bebaute Unterstadt. Stattdessen einen Herrensitz mit agrarisch geprägter Außensiedlung und vermutlich kaum tausend Einwohnern.
Ausgräber Korfmann beschreibe geradezu eine »Welthandels-Metropole« mit Kontakten bis nach Afghanistan. In der Forschung zum bronzezeitlichen Handel spiele Troia aber nirgends eine Rolle - »außer bei Korfmann.« Auch in den alten Sagen forsche man vergeblich nach Anhaltspunkten für florierenden Handel. Kolb: »Homer muss wirklich blind gewesen sein.« Nicht einmal »Siegelabdrücke als simpelstes Indiz« seien gefunden worden - »und nirgendwo sonst wurde so gründlich gegraben.«
Der Alt-Historiker glaubt, Korfmann »wollte unbedingt das glanzvolle Troia Homers finden« und sei nicht gründlich vorgegangen. Kolbs Fazit nach der Abschluss-Diskussion: Korfmann müsse die »irreführenden Interpretationen« aus der Ausstellung entfernen. Aufgabe der Wissenschaft sei es, Mythen zu enttarnen, und nicht etwa, Wünsche des Publikums zu erfüllen. »Wenn der Fund einer Hand voll Mauerreste genügt, warum gräbt man dann noch aus?« Als Kolb geendet hatte, gab's Pfiffe und Buhrufe, aber auch demonstrativen, anhaltenden Beifall.
Korfmann beglückwünschte den Kontrahenten am Vormittag zwar zum »sehr gut ausgearbeiteten Vortrag«, doch danach war's mit den Gemeinsamkeiten schon vorbei. Der 59-Jährige bekräftigte zum Abschluss: »Die Diskussion hat mir klar gezeigt, dass unser eingeschlagener Weg der richtige ist. Die Karawane zieht weiter.«
Seine völlig andere Einschätzung Troias rechtfertigt er mit einer methodisch anderen Herangehensweise. »Wir leben da in zwei Welten. Ich sehe Troia von Europa aus.« Die Stadt liege günstig am Schnittpunkt beider Kontinente und an der Durchfahrt vom Mittelmeer zum Schwarzen Meer. Wer sich Verbreitungskarten anschaue, stoße auf Beziehungen zu Südosteuropa, dem Balkan, zur Ägäis und zum Schwarzmeer-Raum. Der Handel mit Metallen sei zu der Zeit von großer Bedeutung gewesen.
Kritik an der Ausstellung und seinen Thesen wies Korfmann zurück. Hypothesen müssten gelten, »bis man bessere hat«. Den Begriff Metropole habe er für die späte Bronzezeit nie verwendet, das beanstandete Modell sei für Schulklassen gedacht. Was man in Troia gefunden habe, stehe nicht in völligem Gegensatz zu Homers Texten.
Der Archäologe ist überzeugt: Troia ist identisch mit der Stadt, die den Hethitern als Wilusa bekannt ist. Und mit Wilusa hat die damalige Großmacht im 13. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung einen Staatsvertrag abgeschlossen: »Solche Verträge werden nicht mit Drittklassigen gemacht.«
Während hie und da wieder lamentiert wird, die Deutschen verlören das Wissen um die Geschichte, lässt eine Zahl aufhorchen. Als die große Ausstellung "Troia - Traum und Wirklichkeit" (WELT v. 18. 3.) nach gut drei Monaten in Stuttgart, ihrer ersten Station, die Pforten schloss, hatten 250 000 Menschen diesen Geschichtskurs gesehen. Für Braunschweig und Bonn werden ähnliche Dimensionen erwartet. Offensichtlich ist es also doch so, dass vielen Menschen hier zu Lande zwar die Kenntnis der homerischen Epen aus dem Sinn gekommen ist, nicht aber das Interesse, sich über jene ferne Welt zu informieren.
Deswegen findet auch der Streit sein Publikum, der die Universität Tübingen erschüttert. Dort lehrt der Urgeschichtler Manfred Korfmann. Ein ungewöhlicher Mann, hat er doch die üblichen Grenzen seines Faches gesprengt, als er die Leitung des internationalen Grabungsteams übernahm, das seit 1988 in der Nachfolge von Schliemann um den Hügel Hisarlik gräbt. Auf die Forschungen dieser Gruppe geht die aktuelle Troia-Ausstellung zurück.
Ebenfalls in Tübingen lehrt der Althistoriker Manfred Kolb, zu dessen Schwerpunkten antike Städte gehören. Auch er ist ein ungewöhnlicher Professor, hat er doch ausgerechnet zum Beginn der Semesterferien seinem Haus-Kollegen öffentlich vorgeworfen, "unerträgliche" und "absurde" Fiktionen unter das Volk zu streuen. Der Ort an den Dardanellen sei keineswegs, wie Korfmann es darstellt, eine Metropole im Verbund des hethitischen Imperiums gewesen. "Dies ist das abenteuerlichste aller Fantasiegebilde des Kollegen Korfmann", brach Kolb in der "Berliner Morgenpost" über den Nachbarn den Stab.
Für ihn hat Korfmann weder eine große Unterstadt gefunden, noch war die Stadt eine Drehscheibe des Welthandels: "Es werden Befunde aus 2000 Jahren zusammengefasst. Sie sollen die Bedeutung der Siedlung Troia VI beweisen, die nur einige Jahrhunderte bestand. Ein Beispiel: Eine Schmuckaxt aus Lapislazuli soll Handel zwischen dem ,homerischen' Troia VI und Zentralasien belegen. Sie stammt aber aus einer 500 Jahre älteren Schicht ... 95 Prozent der Keramik in Troia sind in der näheren Umgebung hergestellt worden - seltsam für eine Handelsstadt, nicht wahr?"
Kolb steht nicht allein mit seiner Kritik. Vor einigen Wochen erhob der Münchner Archäologe Dieter Hertel seine Stimme (WELT v. 12. 6.). Für ihn ist Troia VI keineswegs ein Opfer kriegerischer Invasoren, sondern ging durch Erdbeben und Brände zugrunde.
Korfmann und seine Anhänger sind sich dagegen sicher, in hethitischen Texten sogar die Namen der angreifenden Griechen identifiziert zu haben: Attrissija soll ihr Führer gewesen sein, also Atreus, der Vater des Agamemnon, der den Zug der Achäer nach Homer geführt hat.
Und wo so viel über Troia geredet wird, ist auch Eberhard Zangger nicht weit, der Mann, der seit zehn Jahren für das troianische Rätsel eine spektakulärere Deutung bereithält. Das untergegangene Atlantis sei es gewesen - womit den 250 000 Besuchern der Troia-Ausstellung wohl endgültig die Orientierung genommen worden ist.
Die Debatte offenbart das ganze Dilemma der Archäologie. Sie beschäftigt sich mit Dingen, die sehr viele Menschen interessieren. Aber sie hat eine Methode, die kaum abschließende Urteile zulässt. Und sie ist - in weiten Teilen zumindest - unfähig, mit diesem Spannungsverhältnis umzugehen.
Zum Beispiel Troia. Es gibt den Hügel Hisarlik, auf dem mittlerweile Spuren von zehn verschiedenen Orten gefunden wurden. Es gibt die Epen Homers, mit denen das Abendland in die Geschichte trat. Und es gibt den Wunsch, beides in Beziehung zueinander zu setzen.
Korfmann und seine Anhänger haben dies getan, indem sie mit guten Argumenten das "Wilusa" der hethitischen Texte als das "Ilion/Troia" Homers identifizierten. Das gibt Korfmann einen deutlichen Vorsprung vor seinen Gegnern, gibt er doch den Steinen Hisarliks den Sinn, den das Publikum erwartet.
Der Gegenentwurf von Hertel und Kolb, Troia sei eine poetische Schöpfung Homers, um die Mauern auf Hisarlik erklären zu können, hat zwar auch gute Argumente, verharrt aber im Destruktiven. Die Geschichte des Hügels wird dem Dunkel überlassen.
Das ist denn auch das Problem der "vielen Kollegen", mit denen sich Kolb in seiner Kritik einig weiß. Die Archäologie baut im Grunde nur Indizienketten auf und zerreißt sie wieder. Historisches Wissen zu schöpfen ist ihre Sache nicht. Damit ist sie nicht allein. Unser ganzes Wissen vom Altertum (und großen Teilen des Mittelalters) gründet sich auf Quellen, deren Aussagekraft deutlich geringer ist, als alles, was etwa auf der Grundlage der Stasi-Akten über die deutsche Geschichte der letzten Jahrzehnte geschrieben werden kann.
So identifiziert Korfmann ein Quellensystem unter Hisarlik mit den Wasserläufen, an denen Achill den Hektor "seitab der Mauer" zu Tode schleifte. Wer dies verurteilt, muss dann zumindest zur Kenntnis nehmen, dass etwa die Geschichte des Hellenismus an vielen Stellen aus ähnlichen Indizienbeweisen zusammengesetzt ist.
Damit muss man leben. Das Problem der Archäologie ist es, dass sie dieses nicht offen ausspricht. Gerade in einer Zeit, in der historisches Wissen durch Interesse abgelöst worden ist, tut Vermittlung not. Doch darum kümmert sich kaum einer der Spatenforscher. Als vor einem Jahr ihr Verband in Halle sein Verhältnis zu Öffentlichkeit debattierte, war es die herrschende Meinung, dass die Forschung allemal wichtiger zu nehmen sei als ihre publikumswirksame Darstellung.
Wenn also Kolb den Eindruck hat, "über das Troia-Bild herrsche ein Kartell aus dem Ausgräber und einigen Journalisten", dann stimmt das sicherlich. Aber nur, weil viele seiner Kollegen die Öffentlichkeit scheuen wie der Teufel das Weihwasser.
Seit Wochen tobt ein neuer Krieg um Troia. Während die große Ausstellung "Troia - Traum und Wirklichkeit" zunächst in Stuttgart und jetzt in Braunschweig Besucherrekorde meldet, hat der Tübinger Althistoriker Frank Kolb mit scharfen Worten seinen Kollegen Manfred Korfmann, seit 1988 Leiter des internationalen Grabungsteams in Troia, "unerträgliche Fiktionen" vorgeworfen. Korfmann und sein Team, auf die das Troia-Bild der Ausstellung vor allem zurückgeht, haben dagegengehalten, indem sie ihren Kritikern mangelnde Kenntnis der neuesten Grabungsfunde vorwarfen. Während der Würzburger Orientalist und Gutachter der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Gernot Wilhelm, Kolb "skandalöse Diffamierung" bescheinigt, haben die Altertumswissenschaftler Dieter Hertel (München), Karl-Joachim Hölkeskamp (Köln), Wolfgang Schuller (Konstanz), Peter Funke (Münster), Hans-Joachim Gehrke (Freiburg) und Henner von Hesberg (Köln) - die letzten drei sind übrigens DFG-Gutachter - für Kolb Position bezogen. Mit Karl-Joachim Hölkeskamp sprach Berthold Seewald.
DIE WELT: Warum haben Sie sich mit namhaften Kollegen hinter Herrn Kolb gestellt?
Karl-Joachim Hölkeskamp: Aus zwei Gründen. Erstens teilen wir im Wesentlichen die Vorbehalte von Herrn Kolb, auf der Grundlage des vorhandenen Materials aus den neuen Grabungen auf Hisarlik derartig weitreichende Schlussfolgerungen zu ziehen, wie Herr Korfmann dies tut. Das betrifft sowohl die Interpretation der Funde wie ihre Einordnung in weitreichende historische Zusammenhänge. Zweitens haben wir alle das Gefühl, dass diese Debatte angesichts der Bedeutung dieses Projektes, der Bedeutung des Erinnerungsortes Troia, auch der Bedeutung der homerischen Epen über diesen angeblichen Troianischen Krieg, eine breite öffentliche Diskussion notwendig macht. Denn diese hatte bislang keineswegs stattgefunden.
DIE WELT: Reicht das Interesse des Publikums wirklich so weit?
Hölkeskamp: Die 250 000 Besucher, die die Troia-Ausstellung allein in Stuttgart anzog, belegen wohl hinreichend, dass ein gewaltiges Interesse an Aufklärung und Kenntnis über Troia besteht.
DIE WELT: Wie würden Sie sich denn, angesichts der höchst artifiziellen Probleme des Stoffs, eine öffentliche Debatte überhaupt vorstellen?
Hölkeskamp: Reinhard Koselleck hat einmal gesagt, dass die Quellen uns nicht sagen, was wir sagen sollen, aber dass sie uns sehr wohl sagen, was wir nicht sagen dürfen. Es geht also vor allem darum, zu klären, was man mit dem gefundenen Material überhaupt anfangen kann und welcher Methoden wir uns bedienen können, um die Wurzeln der griechischen und anderer Kulturen des östlichen Mittelmeerraums zu erforschen.
DIE WELT: Welche falschen Fragen stellt Herr Korfmann denn an sein Material?
Hölkeskamp: Wo Herr Korfmann irrt, weiß ich nicht. Das Problem ist: Was ist eigentlich durch die bisherige Situation wirklich gedeckt? Kann man wirklich von einem internationalen Handelszentrum im östlichen Mittelmeerraum im 15. Jahrhundert v. Chr. sprechen, also für die Schichten Troia VI und VIIa? Ich habe da größte Bedenken.
DIE WELT: Aber Herr Korfmann präsentiert Funde aus fernen Gegenden ...
Hölkeskamp: Da muss man sich erst mal über die Kategorien verständigen. War der Troianische Krieg wirklich ein Handelskrieg um ein großes Zentrum, das gerne mit der mittelalterlichen Hanse verglichen wird? Wer das bejaht, muss erst einmal klären, was Handel im 2. Jahrtausend v. Chr. überhaupt bedeutete und wie er sich belegen lässt. Doch keineswegs mit vereinzelten Funden. In neuesten Meldungen ist davon die Rede, man habe mykenische und kyprische Siegel gefunden, es gäbe Straußeneierschalen und Elfenbeinfunde. Straußeneierschalen und Elfenbein hat man auch im Heraion von Samos gefunden, und das hat nun wirklich noch niemand als Handelszentrum zu bezeichnen versucht.
DIE WELT: Aber Troia war eine Stadt, kein Heiligtum.
Hölkeskamp: Richtig. Dennoch müssten wir erst einmal klären, wie sich die Quantitäten dieser Kleinfunde gerade im Verhältnis zu anatolischer Ware verhalten? Wie ist die genaue Zeitstellung? Denn bedenken Sie: Immer wenn von Troia VI und VIIa die Rede ist, geht es um einen Zeitraum von einem halben Jahrtausend! Wenn, wie Herr Korfmann dies tut, Funde aus diesem Zeitraum zusammengezogen werden, um darauf eine Deutung zu gründen, dann ist das problematisch.
DIE WELT: Sie spielen auf das luwische Siegel eines Schreibers aus dem 12. Jahrhundert v. Chr. an?
Hölkeskamp: Richtig. Dieses Siegel ist später als Troia VI zu datieren. Kann man aus diesem Einzelfund auf die Existenz eines Archivs schließen? Das ist doch zumindest sehr fraglich.
DIE WELT: Korfmanns Troia-Projekt ist ein großes internationales Unternehmen. Wie sind Sie denn mit der Aufarbeitung des Materials zufrieden?
Hölkeskamp: Auf die Präsentation in den "Studia Troica" etwa berufen wir uns ja auch. Das ist selbstverständlich diskursfähig, gar keine Frage. Es ist ja auch nicht so, dass Korfmanns Rang als Ausgräber und Forscher, der ein wichtiges Unternehmen zu seiner Sache gemacht hat, in Frage steht. Es geht um die Interpretation und das, was man daraus macht.
DIE WELT: Was die strittige Bebauung der Unterstadt angeht, wirft Herr Korfmann Herrn Kolb vor, er sei seit vielen Jahren nicht auf der Grabung gewesen. Jetzt ließen sich viele Hausgrundrisse nachweisen. Das bestätigt auch das Grabungsteam.
Hölkeskamp: Publiziert sind diese Funde noch nicht. Wir wissen bislang nicht, welcher Epoche diese Grundrisse zuzuordnen sind. Gerüchteweise hörte ich, sie würden nicht in Troia VI, sondern in VIIa datiert. Kolb und andere interpretieren die bisherigen Funde eher als eine lockere Bebauung mit Gartennutzung. Was heißt da überhaupt dichte Besiedlung? Aus anderen anatolischen Zentren wissen wir, dass Tempel, Magazine und andere öffentliche Gebäude wie etwa Archive im Grundriss klar zu erkennen sind. Wo aber sind diese Bauten? Wenn wir eine solche Unterstadt annehmen sollen, gehört da mehr zu als einfache Hausgrundrisse.
DIE WELT: Aber man hat eine Siedlungsmauer entdeckt ...
Hölkeskamp: ... die nur wenige Meter lang und sehr schmal ist. Die anatolischen Siedlungsmauern sehen sonst etwas massiver aus. Das sind Fragen an Herrn Korfmann, über die wir diskutieren wollen. Wir wollen wissen, worauf er seine Deutungen gründet.
DIE WELT: Das bislang veröffentlichte Material reicht also dafür nicht aus?
Hölkeskamp: Keineswegs, um mit einer solchen Sicherheit, quasi im Indikativ, darüber zu reden. Das gilt auch für die permanent suggerierte Vorstellung, man habe mit dem Spaten nun bewiesen, dass in Homers "Ilias" ein authentisches ereignisgeschichtliches Erinnerungssubstrat vorliegt, es also den Troianischen Krieg wirklich gegeben habe. Da muss ich wirklich Einspruch erheben. Alle Ergebnisse der Epen- und Gedächtnisforschung sprechen dagegen.
DIE WELT: Der Basler Altphilologe Joachim Latacz, der mit Herrn Korfmann zusammenarbeitet, hat aber in seinem neuen Buch "Troia und Homer"" eindrucksvoll die These vertreten, dass Homers Epen im Kern aus mykenischen Zeiten stammen.
Hölkeskamp: Das ist, vorsichtig gesagt, höchst umstritten. Alles, was wir bislang über die Entwicklung von Gedächtnisschichten in oralen Gesellschaften wissen, sagt uns, dass eine konkrete Erinnerung nicht länger als drei Generationen wirklich hält. Wenn wir also davon ausgehen, dass "Ilias" und "Odyssee" am Ende des 8. oder Anfang des 7. Jahrhunderts verschriftlicht worden sind, können wir allenfalls mit einer Rückerinnerung ins 9., vielleicht auch 10. Jahrhundert rechnen. Das aber liegt wiederum mindestens eineinhalb bis zwei Jahrhunderte nach dem Zeitpunkt, an dem der Troianische Krieg stattgefunden haben soll. Lataczs These verlangt von uns gegen alle Erfahrung zu glauben, dass in einer oralen Gesellschaft ein authentischer Erinnerungsbestand über mehr als ein halbes Jahrtausend mündlich weitergegeben worden ist. Das ist viel verlangt.
DIE WELT: Ein Aspekt von Korfmanns Deutung wird aber offensichtlich von den Hethitologen anerkannt: Die Gleichsetzung von Troia/Ilion mit dem Wilusa der hethitischen Staatsdokumente.
Hölkeskamp: Ich bin kein Sprachforscher. Aber es gibt doch auch gewichtige Stimmen, die den positiven Beweis, Ilion sei Wilusa, nicht unbedingt als gesichert erscheinen lassen.
DIE WELT: Kann denn die Altertumswissenschaft überhaupt auf den positiven Beweis pochen? Wird die Geschichte des Hellenismus nicht etwa in weiten Teilen mit solchen Indizienketten - einigen Historikersätzen und ein paar Münzen - geschrieben?
Hölkeskamp: Gerade deswegen sind derart ausgedehnte Deutungen heikel. Der Ansatz, Troia sei über Jahrhunderte ein wichtiger Fürstensitz gewesen, ist doch spannend genug. Wir müssen endlich lernen, die Lücken unseres Wissens auch für Laien verständlich zu machen. Niemand hat etwas gegen eine disziplinierte rekonstruktive Fantasie einzuwenden. Aber was derart konstruiert wird, muss auch deutlich markiert werden. Methodisch-kritische Prinzipien dürfen nicht aufgegeben werden.
DIE WELT: Deswegen die Tonlage der Debatte, in der Herr Kolb Herrn Korfmann zunächst mit dem Ufologen Erich von Däniken verglichen hat?
Hölkeskamp: Ich gestehe, dass ich dafür keine Erklärung habe. Herr Kolb hat seinen Vorwurf ja bereits sehr relativiert. Es mag mit der Prominenz des Themas zusammenhängen, die die Beteiligten eines wissenschaftlichen Disputs dazu verführen kann, in einer öffentlicher werdenden Debatte Alleinvertretungsansprüche anzumelden. Deswegen verlangen wir - auch Herr Kolb - eine offene Diskussion.
DIE WELT: Wie erklären Sie denn Ihren Studenten Troia?
Hölkeskamp: Es gibt zwei Troias. Das eine ist das der "Ilias" als mächtige, auch mentalitätsgeschichtlich wirkungsmächtige Konstruktion einer Gesellschaft, die über das wahre Troia nichts mehr wusste. Das andere war das Troia auf dem Hügel Hisarlik, das im 13. Jahrhundert ein lokales, vielleicht überregionales Zentrum gewesen ist, das den Hintergrund geliefert haben könnte für die Entfaltung einer solchen Geschichte, wie sie die "Ilias" erzählt. Die Entstehung des Epos aber sagt viel mehr über die Mentalität von Griechen in einer Zeit aus, in der sie sich die monumentalen Ruinen in einer Landschaft nicht mehr erklären konnten, als über ein Ereignis, das zur Zerstörung dieser Mauern geführt haben mag. Homer erklärt eine dunkle, instabile Lebenswelt im 8. und frühen 7. Jahrhundert einer Hörerschaft, die Sinnstiftung und Orientierungspunkte in schwierigen Zeiten suchte.
Karl-Joachim Hölkeskamp ist Ordinarius für Alte Geschichte an der Universität Köln, das archaische Griechenland gehört zu seinen Forschungsschwerpunkten.
Im Vorfeld der großen Troja-Ausstellung fordern türkische Stellen die Rückgabe von Kunstschätzen.
STUTTGART. In der Debatte um angeblich gestohlene Kulturgüter hat der Ausgrabungsleiter von Troja, Manfred Korfmann, die zerstrittenen Parteien zur Vernunft aufgerufen. «Wir sollten nicht auf Rechtspositionen pochen», sagte der Tübinger Wissenschaftler am Donnerstag.
Wenige Tage vor Eröffnung der großen Troja-Ausstellung in Stuttgart hatte das türkische Außenministerium erklärt, die Schau sei eine gute Gelegenheit, über die türkische Forderung nach Rückgabe gestohlener Güter zu sprechen.
Trotz Verbot ins Ausland gebracht
«Für jeden Ausgräber ist es heute Standard, dass das, was er ausgräbt, im Lande bleibt», sagte Korfmann. Wissenschaftler können die Welt zwar nicht ändern, «aber sie könnten dafür sorgen, dass so etwas nicht wieder passiert».
Damit spielte der Archäologe unter anderem auf den deutschen Troja-Entdecker Heinrich SchlieMann an. Vor mehr als 100 Jahren hatte SchlieMann Troja ausgegraben und trotz Verbot zahlreiche Kunstschätze außer Landes gebracht.Kulturdenkmal der Menschheit
Nach Korfmanns Meinung könnte der Streit durch Leihgaben oder Dauerleihgaben entschärft werden. «Troja ist ein Kulturdenkmal der Menschheit, das darf bei diesen Diskussionen nicht vergessen werden», betonte er.
Die Ausstellung «Troia - Traum und Wirklichkeit» wird am kommenden Samstag von Bundespräsident Johannes Rau und dem türkischen Staatspräsidenten Ahmet Necdet Sezer eröffnet. Die Schau wird im Laufe des Jahres noch in Braunschweig und Bonn zu sehen sein.
Der türkische Generalkonsul Funda Tezok kündigte unterdessen an, die Schau könnte nach ihrer Wanderung durch deutsche Museen auch in der Türkei gezeigt werden. «Ziel ist es, die Ausstellung möglichst der ganzen Weltöffentlichkeit zu öffnen», sagte Tezok. Es sei «ausdrücklicher Wunsch» seiner Regierung, dass die Schau auch in der Türkei stattfinde. (nz/dpa)