Immer wieder wurde in den vergangenen Jahren in der russischen und internationalen Berichterstattung über den Tschetschenienkonflikt das Bild des wilden, verwegenen Tschetschenen gezeichnet, der scheinbar ohne Rücksicht auf Verluste für die Unabhängigkeit seines Landes von der Moskauer Zentralmacht kämpft. In dem 20 Monate dauernden Krieg standen sich in der Kaukasusrepublik russische Truppen und tschetschenische Freiheitskämpfer in blutigen Gefechten gegenüber. Mindestens 80.000 Menschen wurden getötet, grosse Teile des Landes dem Erdboden gleichgemacht. Hunderttausende sind geflohen, vor allem Russen, die hier seit Jahrzehnten gelebt hatten. Trotz oder vielleicht gerade wegen der Opfer, die sie bisher gebracht haben, geben die Tschetschenen nicht auf - sie sind entschlossen, auch weiterhin für die Unabhängigkeit von Russland einzutreten. Dieser Widerstand hat eine lange Tradition. Seine Wurzeln reichen zurück bis ins 18. Jahrhundert. Welche Faktoren führten dazu, dass sich diese Entschlossenheit zum Kampf bis ins 20. Jahrhundert erhalten hat, und warum ist es gerade die Kaukasusregion, in der sich nach dem Zusammenbruch der Sovjetunion eine solche Vielzahl an Konflikten herausgebildet hat, dass die ohnehin schon gefährdete Stabilität der jungen Staatengemeinschaft an ihnen zu zerbrechen droht?
Wenige Tage nach der Erklärung der tschetschenischen Unabhängigkeit verhängte der Präsident der Russländischen Föderation, Boris Jelzin, den Ausnahmezustand über die abtrünnige Republik und schickte 2.000 Soldaten nach Groznyj, um Dudajev abzusetzen. Die Tschetschenen und mit ihnen Angehörige einiger anderer Kaukasusvölker stellten sich den Truppen in Massendemonstrationen entgegen und zwangen sie zum Rückzug. Dieses fehlgeschlagene Unternehmen kann als die erste nationalitätenpolitische Niederlage Jelzins gedeutet werden. In der Folgezeit erfuhr Tschetschenien Unterstützung aus der 1989 gegründeten "Konföderation der kaukasischen Bergvölker", in der 16 Kaukasusvölker vertreten sind. Gegenüber Tschetschenien wurden vorerst nur Wirtschafts- und Finanzblockaden verhängt, die die ökonomische Krisensituation in der Teilrepublik drastisch verschärfte. Am 12. März 1992 gab sich die Tschetschenische Republik schliesslich eine eigene Verfassung, in der sie sich zu einem "demokratischen Rechtsstaat" mit Religions- und Meinungsfreiheit erklärte. Doch schon bald rief die Tatsache, dass seit dem Regierungsantritt Dudajevs nur noch zwei grössere Zeitungen erschienen und die dringend notwendigen Wirtschaftsreformen nicht in Angriff genommen wurden, eine innertschetschenische Opposition gegen den Präsidenten auf den Plan.
Die Begeisterung für die Unabhängigkeitsbestrebungen der Regierung Dudajev konnte die Bevölkerung Tschetscheniens nicht über die immer schlechter werdende soziale und wirtschaftliche Lage in ihrer jungen Republik hinwegtäuschen. Die Wirtschaftsreformen, die die wichtigsten Voraussetzungen für eine wirkliche Unabhängigkeit von Russland hätten schaffen müssen, wurden hinausgezögert. Hinzu kam die Wirtschaftsblockade Russlands, die Tschetschenien zur Einstellung der erdölverarbeitenden Industrie zwang. Der Zugriff auf tschetschenische Konten bei russischen Banken wurde gesperrt. Nachdem der Präsident am 31. März 1992 den Föderationsvertrag mit Russland nicht unterzeichnet hatte, machte Dudajev aufgrund der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage im Winter 1992/93 das Angebot, in die RF einzutreten, wenn Tschetschenien weitgehende Autonomie gegenüber Russland erhielte (mit Ausnahme der Aussen- und Wirtschaftspolitik sowie der Verteidigung nach aussen). Diesem Kompromiss wollte Jelzin indes nicht zustimmen, hätte ein solcher Vertrag doch eine Schwächung seiner Machtstellung bedeutet. Die innenpolitischen Spannungen in Tschetschenien nahmen zwischenzeitlich noch zu. Ein Zentrum der Opposition bildete sich im Terek-Rayon (nadteretschnyj rajon) im Norden der Republik. Von dort ging auch der erste von der russischen Zentralgewalt unterstützte Putschversuch am 31. März 1992 gegen Dudajev aus. Eine zentrale Rolle war dabei von Moskau dem Verwaltungschef des Terek-Rayons, Umar Avturchanov, zugedacht, der als Führungsfigur innerhalb der Opposition fungieren sollte. Der Versuch, den Präsidenten zu stürzen, wurde jedoch von dessen Truppen vereitelt. Daraufhin zog Russland vorerst seine militärischen Einheiten aus der Krisenregion ab. Die Kritik am Dudajev - Regime bezog sich neben der mangelnden Pressefreiheit und der Verzögerung der ökonomischen Reformen vor allem auf den autoritären Regierungsstil des Präsidenten. Besonders deutlich trat dieser 1993 zutage: Im März hatte Dudajev zu einem Referendum über eine neue Verfassung und Parlamentswahlen aufgerufen, an dem sich allerdings nur 10% der Stimmberechtigten beteiligten. Dennoch wurden die Vollmachten des Präsidenten erweitert, was zu wochenlangen Protesten gegen das Regime führte. Im April schliesslich löste Dudajev das Parlament auf und richtete ein auf ihn zugeschnittenes Präsidialregime ein. Wieder folgten Demonstrationen von über 50.000 Gegnern Dudajevs und Streiks. Nachdem dieser im Mai 1993 ein neues Kabinett gebildet hatte, versuchte das aufgelöste Parlament im Juni, eine Volksbefragung über Neuwahlen durchzuführen, die von regierungstreuen Truppen jedoch verhindert wurde, indem sie das Rathaus von Groznyj stürmten und die Stimmzettel vernichteten. Die Versuche der Opposition, das Regime abzuschaffen, scheiterten meist an der mangelnden Geschlossenheit und dem einzelkämpferischen Vorgehen ihrer Führer. Mit Beslan Gantemirov, Ruslan Labasanov und Ruslan Chasbulatov seien hier nur die wichtigsten genannt. Nachdem Ende 1993 ein weiterer Putschversuch gescheitert war, begann die mit russischen Waffen ausgestatte Opposition 1994 den bewaffneten Widerstand. Einem Anschlag Ende Mai entging Dudajev nur knapp, im Juni kam es zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern und Gegnern des ehemaligen Luftwaffengenerals. Am 9. August wurden die russischen Truppen an der Grenze zu Tschetschenien in Alarmbereitschaft versetzt, am 11. August folgte die Generalmobilmachung. Die russische Politik beschränkte sich anfangs auf die offene Unterstützung der lokalen Opposition mit Waffen und Geld. Nachdem aber auch die Umsturzversuche im Juni, Oktober und November 1994 gescheitert waren, wurde die Opposition am 18. November bei einem letzten Versuch, Groznyj einzunehmen, von der russischen Luftwaffe unterstützt - wiederum ohne Erfolg. Es gelang Dudajev, einige russische Soldaten gefangen zu nehmen. Damit stand Moskau vor der Entscheidung über Krieg oder Frieden, über militärische Intervention oder Anerkennung der Unabhängigkeit Tschetscheniens. Am 11. Dezember 1994 marschierten russische Truppen in Tschetschenien ein, "um die verfassungsmässige Ordnung wiederherzustellen".
Hatte Boris Jelzin noch im August 1994 verkündet, eine militärische Intervention zur Lösung des Konflikts mit Tschetschenien sei inakzeptabel, schien er seine Meinung vier Monate später grundlegend geändert zu haben. Diese Entscheidung hatte vielfältige Gründe: Russland vertrat im Kaukasus sicherheitspolitische und wirtschaftliche Interessen. Um ihre Vormachtrolle innerhalb der GUS zu stabilisieren und auszubauen, war die russische Zentralmacht darum bemüht, den Transkaukasus und Zentralasien unter militärische Kontrolle zu bringen und ein dichtes Netz von Militärstützpunkten aufzubauen. Eine unabhängige Republik Tschetschenien hätte dieses Ziel gefährdet. Die "Politik der Stärke" sollte ausserdem dazu dienen, nationalistische Kräfte in anderen Föderationsrepubliken einzuschüchtern und mögliche Sezessionsbestrebungen zu unterdrücken. Wirtschaftliche Gesichtspunkte dürften den Meinungswandel ebenfalls beeinflusst haben. Durch Tschetschenien läuft eine wichtige Eisenbahnlinie und eine Erdölpipeline, die Öl vom Kaspischen an das Schwarze Meer transportiert. Dass Boris Jelzin aber gerade zu diesem Zeitpunkt einer gewaltsamen Lösung zustimmte, während Moskau der Entwicklung in der abtrünnigen Republik drei Jahre lang eher abwartend aus der Ferne zugesehen hatte, resultierte vor allem aus den veränderten Machtstrukturen innerhalb des Kreml. Jelzin und seine demokratischen Anhänger wurden von einer "rot-braunen Allianz" aus kommunistischen und ultranationalistischen Kräften immer mehr in die Defensive gedrängt. Zunehmend glaubte der russische Präsident, diesen Kräften entgegenkommen zu müssen. Er entfernte sich von den demokratischen Gruppen und richtete seine Politik nach den Vorstellungen weniger Berater des Militär- und Sicherheitsapparates aus, wie z.B. Verteidigungsminister Pavel Gratschov, Aussenminister Andrej Kosyrev oder Sicherheitssekretär Oleg Lobov. Die russische Bevölkerung verurteilte mehrheitlich den Einmarsch in Tschetschenien, ebenso spaltete die Invasion das schlecht ausgerüstete und ausgebildete Militär. Westliche Politiker sahen in dem Einmarsch zunächst "eine innere Angelegenheit" Russlands. Doch die von Verteidigungsminister Gratschov angekündigte schnelle Einnahme Groznyjs liess auf sich warten. Was anfangs wie ein kurzer "Spaziergang" aussah, um ein Volk, das nicht einmal ein Prozent der Bevölkerung der RF (149,5 Mio.) ausmachte, in seine Schranken zu verweisen, entwickelte sich zu einem 20 Monate dauernden, von beiden Seiten unbarmherzig geführten Krieg.
Boris Jelzin und sein tschetschenischer Kollege Aslan Maschadow unterzeichneten am 12. Mai 1997 in Moskau einen Friedensvertrag, in dem unter anderem der Abzug der russischen Truppen festgelegt wurde. Die Frage über den zukünftigen Status der für unabhängig erklärten Republik blieb dabei ausgespart - sie soll laut Vertrag erst nach einem Zeitraum von fünf Jahren geklärt werden. Während Moskau nach wie vor darauf beharrt, dass Tschetschenien ein Teil der RF sei, wollen die Tschetschenen weiterhin für ihre endgültige Unabhängigkeit eintreten.
Auch wenn die russischen Truppen im September 1997 aus Tschetschenien abgezogen sind - von einer Rückkehr zur Normalität kann keine Rede sein. Mindestens 80.000 Tote hat der Krieg gefordert, die meisten Städte sind ganz oder teilweise zerbombt. Die russischen Soldaten hinterlassen ein einziges Schlachtfeld. Doch trotz Not und Zerstörung wurden die Präsidentschaftswahlen am 27. Januar 1997 sorgfältig vorbereitet. An der von 72 Beobachtern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) überwachten Wahl beteiligten sich über 60 Prozent der Wahlberechtigten. Über 55 Prozent der Stimmen entfielen auf den ehemaligen Generalstabschef der Separatisten, Aslan Maschadov, der dann im Mai 1997 das Friedensabkommen mit Moskau aushandelte. Während Jelzin bekräftigte, dass Tschetschenien weiterhin ein Teil der RF bleiben müsse, beharrt Maschadov auf der baldigen Unabhängigkeit der Republik. Die Fronten blieben verhärtet, eine für beide Seiten befriedigende Lösung war damals und bleibt bis heute nicht in Sicht.